Orlando
nach Virginia Woolf
Die Geschichte eines Mannes, der zur Frau wird, mehr als 350 Jahre lebt und dabei kaum altert. 1586: Der junge und bildschöne englische Adlige Orlando flüchtet nach einer enttäuschten Liebschaft als Dichter in die Einsamkeit der Natur. Mit 30 wird er Botschafter im damaligen Konstantinopel. Hier geschieht das Ungeheuerliche: Orlando fällt in einen tiefen Schlaf, aus dem er erst nach sieben Tagen erwacht – als Frau! Sie kehrt nach England zurück, mittlerweile schreiben wir das 18. Jahrhundert. Hier wird ihr Frausein zum Problem: Darf die weibliche Orlando Adelstitel und Besitztümer behalten? Schließlich heiratet sie, es ist der Beginn des 19. Jahrhunderts, und wird Mutter. Die Geschichte endet 1928, Orlando ist berühmte Schriftstellerin mit gerade einmal 36 Jahren.
Virginia Woolfs Figur Orlando wechselt scheinbar mühelos zwischen den Konzepten von Weiblichkeit und Männlichkeit – stets vom Gefühl verfolgt, fremd zu sein in der Welt. Es scheint, als habe Woolf einen Charakter geschaffen, den man heute als „queer“ bezeichnen würde – eine Person, die in keine gängigen Geschlechter-Schubladen passt.
Die Regisseurin Laura N. Junghanns lässt durch die Roman-Handlung zugleich die Entstehungsgeschichte hindurchscheinen: Die Liebe zwischen Virginia Woolf und ihrer Dichter-Kollegin Vita Sackville-West. Woolf setzte ihrer Geliebten mit dem „längsten Liebesbrief der Literatur“ (so Sackville-Wests Sohn) ein Denkmal. Die Grenzen von Fiktion und Realität verschwimmen, bis zum erneuten Zeitsprung: Orlando, Florida, 12. Juni 2016. Ein Mann stürmt den von der queeren Community besuchten Nachtclub „Pulse“ und erschießt 49 Menschen.
Junghanns nimmt die Thematik des Romans und die zufällige Namensgleichheit mit der US-amerikanischen Stadt zum Anlass, um einen Theaterabend über Identitäten, Zuschreibungen und Kategorien wie Mehrheit und Minderheit zu entwickeln – und die Geschichte Orlandos bis in die Gegenwart fortzuschreiben. Mit dabei live auf der Bühne: Die Dortmunder Band aniYo kore.
Besetzung
- Mit: Ekkehard Freye, Marlena Keil, Friederike Tiefenbacher
- Live-Musik: aniYo kore
- Regie: Laura N. Junghanns
- Bühne: Maria Eberhardt
- Kostüme: Natalia Nordheimer
- Dramaturgie: Dirk Baumann
- Bühnenmeister: Gero Wendland
- Licht: Stefan Gimbel
- Ton: Chris Sauer
- Regieassistenz: Péter Sanyó
- Ausstattungsassistenz: Svea Schiemann
- Inspizienz: Ralf Kubik
- Soufflage: Ruth Ziegler
Pressestimmen
„Die Elemente Gender, Herkunft, Geschlechterrolle werden raffiniert ineinander verwoben, textlich, aber auch durch Ausstattung und Musik. (…) Dazu spielt das Dortmunder Duo aniYo kore live (...) und liefert mit Gitarre und Synthesizer einen fast durchgängig untermalenden Sound. (…) Es ist eine interessante, raffinierte Vermischung (…). Das Arrangement wird aufgelockert durch satirische Szenen, etwa über die Frau des 19. Jahrhunderts, der man gesellschaftlich nur die Rolle der Tee-Serviererin zutraut, das spielen die Schauspieler in mehreren Versionen, eine richtige schauspielerische Glanznummer. Überhaupt sind die drei Darsteller in hervorragender Verfassung (…). Die Regisseurin hat sich sehr viel einfallen lassen, auch die Texte klug ausgewählt und zusammenmontiert. Man merkt, dass sie nicht nur einen Roman bearbeiten, sondern auch an heutiges Geschehen anknüpfen will. (…) ein hoffnungsvolles Talent.“
WDR Mosaik, 11.2.18
„Wie alles an diesem Abend sind auch Bühne (Maria Eberhardt) und die Kostüme von Natalia Nordheimer voller anspielungsreicher und intelligenter Bezüge. Es ist eine kluge Dichte, die aber niemals gestelzt daherkommt. Orlando ist immer eine wunderbar leichte und unterhaltsame Produktion. (…) Junghanns verschneidet sehr geschickt den gesamten Abend über Woolf / Sackville-Wests und Orlandos Biographie (...). Im Prozess, in dem die aus Konstantinopel zurückgekehrte Orlando ihren Besitz wieder einklagt, wird von Freye, Tiefenbacher und Keil in einem Parforce-Ritt mal eben die gesamte aktuelle Debatte um Gender, biologisches, soziales und empfundenes Geschlecht abgearbeitet. So rasant, witzig und grundlegend, dass danach tatsächlich jede schlichte Zweipoligkeit dahin zu sein scheint. Und dann folgt gleich eine unglaubliche Szene beim Tee. (…) Freye brüstet sich mit Jagdabenteuern und Marlena Keil versucht sich als Neu-Frau-Orlando in der Erfüllung weiblicher Klischees und Erotik. Das ist schlicht brilliant – und einfach wahnsinnig komisch. Zuletzt (…) hat Friederike Tiefenbacher noch einmal als Virginia Woolf einen großen Theatermoment. So glaubwürdig, echt, anrührend ist hier ihr Stolz und ihre Unsicherheit, ihre Liebe und Verunsicherung, dass es einem fast das Herz zerreißt. (...) Laura N. Junghanns hat mit ihrem herausragenden Team ein gar nicht so kleines Meisterwerk hingelegt.“
ruhrbarone.de, 12.2.18
„Die Lust der drei Darsteller an ihrem vielschichtigen Spiel überträgt sich auf den Betrachter. (...) Und auch AniYo Kore liefern mehr als einen sphärischen, trip-hop-inspirierten, hörenswerten Live-Soundtrack. (...) sie betten das überraschende Finale in eine dramatische Rockballade. Da laufen als Einspielung Nachrichtenschnipsel vom Anschlag auf die Szenedisco 'Pulse' 2016 in Orlando, Florida. (...) Manchmal hat es mörderische Folgen, wenn Menschen mit den Freiheiten nicht zurechtkommen, die sich Virginia Woolf modellhaft für ihre Figur ausdachte. In dem Bühnenraum von Maria Eberhardt zeichnen Lichterketten einen Baum in den Regenbogenfarben, ein trotziges Zeichen. Ein Abend, der großes Vergnügen bereitet.“
Westfälischer Anzeiger, 12.2.18
„Die zweiköpfige Dortmunder Band AniYokore das letzte auf Englisch gesungene Wort. Melody und Rene haben, ergänzt um Gitarren, elektronisch verstärkte Bässe einen eigenen Soundtrack entwickelt, der die Inszenierung in der Tat wesentlich bereichert.“
Sonntagsnachrichten Herne, 12.2.18