Schauspiel

Stadtdramaturgie

Nach der Unsichtbarkeit. Post-Wut. Nach der Wut. Um eine Reaktion nach der Wut zu bestimmen, ist es wichtig, sich darüber im Klaren zu sein, worauf sich die Wut richtet. Und sich gleichzeitig von einem Zustand abzugrenzen. Dem Zustand, wütend zu sein. Sauer zu sein. Wut bedeutet Klarheit. Klarheit darüber, was nicht mehr geht. Klarheit darüber, was Wut verursacht. Klarheit darüber, was unausgesprochen bleibt und dennoch handlungsfähig macht. Die Wut aus stadtdramaturgischer Perspektive richtet sich auf die Unsichtbarkeit. Unsichtbarkeit von Verhandlungen, Unsichtbarkeit von Narrativen, Unsichtbarkeit von Perspektiven, Unsichtbarkeit von Arbeit. Unsichtbarkeit von Erfahrungen. Unsichtbarkeiten in der Stadt und am Theater.

Wenn wir die Gegenwart aus der Zukunft beschreiben, werden die, die heute gehört werden, sichtbar bleiben. Die, die heute nicht gehört und gesehen werden, auch in Zukunft unsichtbar bleiben. Dieser Gedanke war der Entstehungspunkt des Afrofuturismus.

Wenn wir über die Unsichtbarkeit reden, reden wir auch über die weibliche Wut. Die weibliche Wut wird als unhöflich empfunden. Als unverschämt und extrem. Aber die Zukunft wird sehr wütend auf uns sein, wenn wir Frauen* jetzt nicht handeln. Wir als Stadtdramaturgie möchten die Definitionen von vielen Dingen an uns Frauen* selber und neu bestimmen. Wie wir lieben, wie wir Mutter sein wollen, wie viele Falten wir im Körper haben können, sind unsere Angelegenheiten. Um diese Wut rauszulassen, brauchen wir einen Eject-Knopf. Diesen ermöglichen wir im Rahmen der Stadtdramaturgie. Wenn die Wut raus ist, kommt Nacktheit. Kommt Befreiung. Kommt Liebe. Die Liebe, die wir definieren, und zwar nicht am Valentinstag, sondern über 365 Tage des Jahres mit awareness, self care und self education. Aus diesem Bewusstsein entstehen Feministische Festivals und alles dazwischen.

Im Folgenden stellen wir deshalb die Projekte der Stadtdramaturgie des Schauspiel Dortmund aus post-wütiger Perspektive vor.

Megha Kono-Patel & Negar Foroughanfar
Stadtdramaturginnen

Ape(lina) – Kaffee und mehr

Unsere Ape – oder auch liebevoll Ape(lina) genannt – ist ein Kleintransporter, der unterwegs ist in Dortmund und der sich verwandelt in ein kleines Theater, ein Café oder einen Club, eine Küche, eine Bar oder ein Labor. Oder ein Forschungsinstitut, eine Partner*innen-Vermittlung und eine Werkstatt. Treffen Sie uns, überall da, wo die Ape ist, kommen ins Gespräch mit uns und lernt uns kennen.

Im Gespräch mit …

Auf die Wut, sich Ideen und Konzepte anzueignen, ohne die Quellen zu nennen, reagiert Im Gespräch mit …. Wenn wir über Zukunft sprechen wollen, ist es wichtig, sich der eigenen Geschichte bewusst zu sein. Sei es die Geschichte des Theaters, der gesellschaftlichen Subjekte oder der Erfindung von Wissen. Wer irritiert anerkanntes Wissen und wo kann Kritik an bestehenden Verhältnissen praktisch umgesetzt werden? Im Gespräch mit … stellt ein Gespräch zwischen Aktivist*innen, Wissenschaftler*innen und Künstler*innen, die international Diskurse bestimmen, und lokalen Akteur*innen mit gleichen Perspektiven, Themen und/oder Arbeitsweisen her. Für das Gespräch lässt das Schauspiel sich einladen an Orte in Dortmund, die als Veranstalter*innen der Stadt zu Kolleg*innen des Schauspiel Dortmund zählen. In der letzten Spielzeit sind u. a. Dr. Noa K. Ha, Wopana Mudimu, Prof. Dr. Paul Mecheril, Julienne De Muirier, Prof. Dr. Nivideta Prasad, Naomi Hennor, Senthuran Varatharajah, Prof. Dr. Nikita Dhawan, Cate Lartey, Prof. Dr. Belinda Kazeem-Kaminski, Miriam Yosef und Aathithya Balarmuralay zu Themen wie „Displacement“, „Allyship“, „Kollektives Gedächtnis“, „White gaze“, „Klassische Texte retten“, „Bewusstsein für Intersektionalität als Menschenrecht“ ins Gespräch gekommen.

Künstler*innenresidenz

Auf die Wut, nicht das, was ohnehin an Arbeit geleistet wird, sichtbar zu machen, reagiert die Künstler*innenresidenz mit Raum, Zeit und finanziellen Ressourcen. Künstler*innenresidenzen geben den Raum, um Ideen zu entwickeln, Konzepte auszuarbeiten, eigenen künstlerischen Interessen Raum zu geben. Bei gesellschaftlich marginalisierten Künstler*innen aber zeigt sich auch, dass o bereits alles vorhanden ist an Recherche und Konzept, und das einzige, was fehlt, lediglich ein Theater ist, dass Ressourcen zur Verfügung stellt. Und noch wichtiger – im Sinne von Gayatri Chakravorty Spivak – denen zuhört, die durch national bestimmte Narrative in der Unsichtbarkeit sprechen.

In der Spielzeit 2022/23 werden die bildende Künstlerin Havin Al-Sindy, die Kulturarbeiterin Eva Busch und der*die Performancekünstler*in Sinthujan Varatharajah Tore im öffentlichen Raum bauen lassen, um diese als Gesprächs- und Workshopanlässe zu nutzen. Aus dem daraus generierten Wissen entwickeln die Künstler*innen eine Performance, die sich im Kontext von Flucht und verlassener Architektur bewegt und dabei unkonventionellen Perspektiven Raum bietet. Die erste Phase findet im September/Oktober 2022, die zweite Phase im April/Mai 2023 statt.

Becoming Dortmund

Auf die Wut des Narrativs reagiert Becoming Dortmund. Niemand war schon immer da, wo er*sie jetzt ist. Bewegung stellt einen wichtigen Bezugspunkt von Urbanität dar. Gleichzeitig werden Städte auf eine Weise erzählt, die eine Zugehörigkeit schafft . Das ist im Laufe neoliberaler Verhältnisse ein Automatismus, der Städte in einen Wettbewerb um die größte Besonderheit bringt. In der Herstellung von Besonderheiten einer Stadt findet eine Homogenisierung von Narrativen statt, die die Mehrperspektivität in der Stadt und auf die Stadt unsichtbar macht. Um die Bewohner*innen und ihre Perspektive auf Dortmund sichtbar zu machen, entstand Becoming Dortmund. Einst von Kolleg*innen initiiert, die ihr Ankommen und Stadt-Kennenlernen auf persönliche Weise dokumentierte, stellt der Stadtplan nun auch kuratierte Geschichten von Dortmunder*innen heraus, die nicht am Schauspiel Dortmund arbeiten. Auf dem Blog des Schauspiel Dortmund werden jeden Monat zwei bis drei neue Fähnchen in den dort eingepflegten Dortmunder Stadtplan gesetzt.