Dreigroschenoper
„Ich hatte zu zeigen versucht, daß die Ideenwelt und das Gefühlsleben der Straßenbanditen ungemein viel Ähnlichkeit mit der Ideenwelt und dem Gefühlsleben des soliden Bürgers haben.“ — Bertolt Brecht, 1933
Die Dreigroschenoper ist keine nostalgische Operette, sondern Hauptmann, Brechts und Weills Frontalangriff auf die bürgerliche Moral. Unter der Regie von Julia Wissert und der musikalischen Leitung von Yotam Schlezinger wird dieser zeitlose Klassiker in Dortmund zu einer sinnlich-akustischen Konfrontation an einem einzigartigen Ort.
Im Zentrum stehen der berüchtigte Ganove Macheath, „Mackie Messer“, und seine Verstrickungen in die korrupte Unterwelt Londons. Zwischen Liebe, Verrat, Polizei und Kriminellen bewegt er sich durch ein dichtes Netz aus Intrigen, Ehebruch, Bestechung und Mord. Kurz vor den Krönungsfeierlichkeiten heiratet er heimlich Polly Peachum – gegen den Willen ihres Vaters, der als „Bettlerkönig“ die Armen der Stadt kontrolliert und Mackie als Bedrohung für sein Geschäftsmodell sieht. Peachum setzt alles daran, Mackie verhaften zu lassen. Doch er entzieht sich immer wieder, unterstützt von alten Verbindungen, zweifelhaften Loyalitäten und seiner Geliebten Jenny.
Die Dreigroschenoper, 1928 uraufgeführt und kurz darauf von den Nationalsozialisten wegen ihrer radikalen Systemkritik verboten, entfaltet im Salzlager der Kokerei Hansa ihre Wirkung als zeitloser Klassiker. Der historische Industriestandort dient nicht nur als Kulisse, sondern als Resonanzraum: Seine Geschichte von harter Arbeit, ökonomischen Zwängen und moralischen Grenzbereichen spiegelt die sozialen Konflikte der Oper wider. Brechts pointierte These, dass „der Einbruch in eine Bank nichts ist gegen die Gründung einer Bank“, wird hier unmittelbar greifbar, weil der Ort die systemische Ausbeutung des Kapitals mit der kriminellen Ausbeutung der Unterwelt verknüpft. So übersetzt die Inszenierung die historischen Spannungen in unsere Gegenwart und unterstreicht ihre gesellschaftliche Relevanz.
Musikalisch setzt das Team auf ein kompaktes Quintett aus Multiinstrumentalist*innen, das den rauen Klang von Kabarett und Jazz bewahrt und die konfrontative Schärfe von Weills Musik direkt in den Raum überträgt. Die opulenten Kostüme von Lorena Diaz Stephens verleihen der Operette eine düstere, zugleich glanzvolle und opernhafte Oberfläche. In Wechselwirkung mit dem außergewöhnlichen Raum des Salzlagers entsteht ein sinnlich-akustischer Kosmos, der Lust und Schwelgen mit Brechts Verfremdungseffekten und der sozialen Kritik des Stücks verbindet.
Aus diesem Zusammenspiel erwächst ein vielschichtiges Erleben: Die Zuschauer werden verführt und zugleich herausgefordert, hinter die glänzende Oberfläche zu blicken und die Abgründe der Gesellschaft zu erkennen.