Der zerbrochne Krug
Im Zentrum von Heinrich von Kleists Lustspiel steht Dorfrichter Adam. Er soll klären, wer in der Kammer der jungen Eve Rull den wertvollen Krug ihrer Mutter Marthe zerschlagen hat. Marthe beschuldigt den Verlobten ihrer Tochter Ruprecht – doch der beteuert seine Unschuld.
In Lola Fuchs’ Inszenierung wird aus der klassischen Gerichtskomödie eine bissige Mediensatire. Eve ist hier als „Pottery Fairy“ auf Instagram bekannt, Marthe eine gescheiterte Serienunternehmerin mit Faible für Steviapillen, Naturbinden und Selfies mit C-Promis. Dorfrichter Adam alias „Mr. A“, der sich gern als moralische Instanz und Kümmerer inszeniert, entpuppt sich nach und nach als übergriffiger Machtmensch mit einer höchst ungesunden Obsession für Eve.
In jener Nacht bedrängt er sie – und zerstört auf der Flucht den handgetöpferten Instagram-Krug, ein Unikat und zentrales Beweisstück. Anstatt sich seiner Verantwortung zu stellen, beginnt er, die Wahrheit zu verdrehen und verstrickt das Dorf in ein Netz aus Lügen, Verdächtigungen und öffentlicher Inszenierung.
Gerichtsrätin Wendy Walter, ein eiskalter Behördenengel im Balenciaga-Zweiteiler, reist zur Revision aus der Stadt an, um dem moralischen Verfall auf dem Land entgegenzuwirken. Doch zwischen Instagram-Keramik, Naturwein und einem Schneesturm im Juli beginnt selbst sie, die Realität aus den Augen zu verlieren.
Gerichtsschreiber Licht, pedantischer Protokollant mit Hang zu düsteren Playlists und Popsong-Choreos, bemüht sich um Aufklärung – und scheitert kläglich. Vielleicht, weil er Mr. A‘s heimlicher Erzfeind ist. Vielleicht, weil er einfach zu woke für Huisum ist.
Die entscheidende Wendung bringt die Rückkehr des mysteriösen Dorfmediums Brigitte, mal Wahrsagerin, mal Wiedergängerin – die als Zeugin der Nacht das Geschehen endgültig ins Surreale kippen lässt.
Die Aufdeckung der Wahrheit erschüttert Huisum tief. Und was als kleine Gerichtsverhandlung beginnt, wird zum Spiegel gesellschaftlicher Abgründe – irgendwo zwischen Gerichtsshow, Instagram-Realität und unterdrücktem Provinzwahnsinn.
Mit feinem Gespür und scharfem Humor zeigt Lola Fuchs, wie nah Wahrheit und Täuschung, Macht und Medialisierung beieinanderliegen. Sie verwandelt Der zerbrochene Krug in eine messerscharfe Gesellschaftssatire, die Kleists Original ernst nimmt – und es zugleich virtuos durch die Gegenwart filtert.
Hinweise zu sensiblen Inhalten und sensorischen Reizen.
„Die junge Regisseurin Lola Fuchs hat Kleists ‚Der zerbrochne Krug‘ in Dortmund stark modernisiert. Das macht Sinn- und lustig bleibt es auch.“
„‘Der zerbrochne Krug‘ am Schauspiel Dortmund entpuppt sich als pfiffig und amüsant.“
„Eine Gute Entscheidung also, mit Lola Fuchs (31) eine junge Regisseurin zu wählen. Sie hat unter dem Zusatztitel ‚Eine Mystery-Seifenoper‘ den Inhalt um Richter Adam – hier ‚Mr.A.‘ – radikal modernisiert.“
„Auch Ausstatterin Anita Ackva hat die Ironie-Brille aufgesetzt. Gelbe Hütten und eine Laterne erinnern an ein schnuckeliges Weihanchtsdorf, die Kostüme sind grotesk überzeichnet. Gerichtspräsidentin Wendy Walter (Nika Mišković) gibt sich in ihrem Hosenanzug so streng wie FBI-Agentin Scully in der Kultserie ‚Akte X‘, Mutter Marthe – Antje Prust im Ingrid-Steeger-Modus – lässt die Capri-Hose runter.
„(…) viele Szenen machen wirklich Spaß – so wie die Weinprobe, in der sich Ebner und Mišković als echte Komödianten erweisen. Da macht auch die Video-Kamera von Tobias Hoeft Sinn, denn sie bringt uns das witzige Mienenspiel des Duos nahe.“
„Die Sympathie des Publikums gehört dem urkomischen Verlobten Ruprecht Tümpel (Roberto Romeo) und dem Schreiber Licht (Lukas Beeler), der als Medium auch für die Mystery sorgt.“
„Das Kunststück des Abends gelingt: Ohne den Humor zu verlieren, schiebt und Regisseurin Fuchs zunehmend deutlicher die Tatsachen unter die Jacke, dass Eve einen sexuellen Übergriff erlitten hat, erpresst wurde und dass diese Schnuckel-Dorf keines ist.
„Puah Abdellaoui als Eve, die kein Opfer sein will, spielt präsent und kraftvoll. Ihr gehört die beeindruckende letzte Szene.“
„Eine sinnvolle neue Deutung und ein amüsanter Abend – was will man mehr? Das Publikum dankte mit heftigem Applaus und Standing Ovation.“
„Fuchs hat sichtlich Freude daran, die Gemeinschaft im fiktiven niederländischen Dorf Huisum als Parade zeitgemäßer Typen zu zeichnen. Das führt zu einem temporeichen, oft punktgenauen Gag-Feuerwerk.“
„Umso stärker ist Eve Rull gezeichnet (Puah Abdellaoui): eine Teenagerin, vor der man in Habachtstellung geht. Sie weiß, wie man Geld im Internet macht, töpfert Gebilde, die nicht jugendfrei sind, und schreit sowohl ihren Freund als auch ihre Mutter an, mit der sie das kraftvollste Duo des Abends bildet (Antje Prust ist eine Show für sich).“
„(…) wirbelt das Ensemble sehr geschlossen durch die Farce, zeigt Freude an den Doppeldeutigkeiten und Wortspielereien.“
„Wenn es so etwas wie einen Gesichtsmuskelkater gibt, müssten am Tag nach der Premiere einige davon betroffen sein. Nika Mišković etwa, als Gerichtsrätin Wendy Walter so rothaarig-mondän wie Senta Berger. Roberto Romeo spielt Ruprecht Tümpel so, dass der Name seiner Figur sich auf simpel reimt. Lukas Beeler bringt die Beflissenheit des erfolglosen Schreibers Licht wunderbar auf den Punkt. Als Brigitte, das Dorfmedium, treibt er die Farce später auf die Spitze.“