Carmina Burana
- In der Audioeinführung gibt Ihnen Dramaturgin Helena Sturm einen kurzen Einblick in Carmina Burana. Eine Live-Einführung können Sie 45 Minuten vor jeder Vorstellung im Foyer erleben.
Carmina Burana Jetzt reinhören
Dortmunder Erstaufführung
Carl Orffs Carmina Burana zählt zu den einflussreichsten Werken der Musikgeschichte, deren kraftvolle Symbolik immer wieder neue Adaptionen inspiriert. Edward Clug, ab dieser Spielzeit Artist in Residence am Ballett Dortmund, hat sich mit seiner Choreografie für Les Grands Ballets Canadiens im Jahr 2019 der Herausforderung gestellt, dieses monumentale Werk in eine zeitgenössische, persönliche Interpretation zu übertragen – ohne dabei in die Fußstapfen früherer Versionen zu treten.
Als größte Schwierigkeit seiner Arbeit beschreibt Clug die Suche nach einer eigenen, authentischen Geschichte inmitten der imposanten Musik Orffs. Wie vermeidet man Wiederholungen dessen, was bereits in der eindringlichen Sprache des Originals erzählt wird, um stattdessen eindrucksvolle Bilder zu schaffen, die inmitten der sprachlichen Poesie der Komposition für sich stehen? Seine Antwort liegt in der Verschmelzung von Naturzyklen und menschlicher Sehnsucht: Im Frühlingserwachen, im Aufkeimen des Begehrens, das sowohl die Natur als auch den Menschen durchdringt. Es ist ein Streben nach dem Verbotenen, nach dem Unnahbaren – ein Streben, das sich in tänzerischen Bewegungen voller Spannung und Leidenschaft entfaltet.
Zentral ist die kreisförmige Formation, die die Choreografie rahmt. Sie beginnt und endet mit dem Glücksrad aus dem berühmten Gesang O Fortuna. Die Tänzer*innen verkörpern diesen Kreis, der nicht nur eine perfekte Form darstellt, sondern ein pulsierendes Zentrum, das Energie aufnimmt und wieder freisetzt. Je enger der Kreis wird, desto stärker seine kinetische Kraft – ein Sinnbild für das menschliche Streben nach Vollkommenheit und die Anziehungskraft existenzieller Zyklen.
Die Tänzer*innen des Ballett Dortmund, die Musiker*innen der Dortmunder Philharmoniker, der Opernchor des Theater Dortmund sowie Opernsolist*innen vereinen in dieser Produktion die Disziplinen von Musik und Tanz zu einem imposanten Bühnenerlebnis. Clugs kraftvolle und nuancenreiche Choreografie nimmt das Publikum mit auf eine Reise, die bekannte Elemente von Carmina Burana neu beleuchtet und die Verbindung zwischen Orffs überwältigendem Klanguniversum und den Rhythmen des Lebens sinnlich erfahrbar macht.
„Dem Choreografen Edward Clug, in dieser Saison Artist in Residence beim Dortmunder Ballett, gelingt es vom ersten Moment an, der akustischen Überwältigung standzuhalten, und die Aufmerksamkeit mit minimalistischen, präzisen Bewegungsfolgen derart zu bannen, dass sämtliche Erinnerungen an Schokoladen-, Bier- und Autowerbung sowie zahllose Filmschlachten, zu denen man diese Musik auch schon gehört hat, unmittelbar gelöscht werden. Und man ‚O Fortuna‘, den machtvollen Eingangs- und Schlusschoral, noch einmal völlig neu erlebt.
Hier lässt sich die Choreografie aber noch einmal sehr frisch und in einer sehr inspirierten Bearbeitung mit dem Dortmunder Stamm- und Juniorballett bestaunen – insgesamt 30 Tänzer, die die komplexen Abläufe in ehrfurchtgebietender Präzision und Synchronizität umsetzen.
Für Ausschweifung und Begehren, die in den weiteren Teilen (‚In der Taverne‘ am ‚Hof der Liebe‘) der szenischen Kantate thematisiert sind, findet Clug wiederum eine sehr abstrakte und hochästhetische Sprache.
Wo die lateinischen und mittelhochdeutschen Reime deftig werden, bleibt die Bewegungssprache zart und poetisch.
Nicht nur der Chor zeigt sich in Bestform, auch die Solisten leisten Großes: Schwindelerregend, wie Mandla Mndebele seinen erdigen Bariton bei ‚Dies nox et omnia‘ in tenorale Höhen zu bewegen vermag, betörend, wie Sooyeon Lee den Liebsten lockt, eine Klasse für sich ist Zicong Han mit dem makabren Klagelied des gerösteten Schwans.
Jordan de Souza, Dortmunds neuer GMD, beweist nach seinem triumphalen Einstieg bei der ‚Hochzeit des Figaro‘ ein weiteres Mal sein Können: nicht nur in der bloßen Beherrschung des immensen (instrumentalen und vokalen) Klangkörpers.
Bei ihm wird die abzählhafte Kleinteiligkeit von Orffs Komposition, die an einigen Stellen bereits die Minimal Music der 1960er vorwegzunehmen scheint, nie monoton. Stattdessen gerät man in einen Rausch von immer neuen Farben und Nuancen. Das groß besetzte Schlagwerk klingt prägnant, aber nie übertönend.
Vorab wurde angekündigt, mit der Kooperation der drei Sparten (Ballett, Oper und Symphoniker) ein Statement setzen zu wollen: Das ist in jeder Hinsicht gelungen. Der frenetische Beifall des wie immer sehr begeisterungsfähigen Dortmunder Ballettpublikums war hochverdient. Der frenetische Beifall des wie immer sehr begeisterungsfähigen Dortmunder Ballettpublikums war hochverdient.“
„Die Präzision, mit der die Compagnie tanzt, begeistert. In Clugs nur 70-minütigem Tanz unter dem Rad des Schicksals kommt es auf Synchronität an, auch originelle, gymnastische Bewegungen prägen die 24 Bilder von Liebe, Tod, Glück und Unglück.
All das ist eindrucksvoll und großartig umgesetzt von 30 Tänzerinnen und Tänzern der Dortmunder Compagnie und des NRW Juniorballetts, die am Schluss in hautfarbenen Trikots (Kostüme: Leo Kulaš) wie nackte Körper verschmelzen. Masse statt Indviduum ist der rote Faden dieser Chorografie.“
„Die Tänzerinnen und Tänzer des Balletts Dortmund und des NRW Juniorballetts begeistern durch einen homogenen Gesamteindruck und setzen in einer modernen Körpersprache Orffs gewaltige Musik ausdrucksstark in Bewegungen um. Auch das Solopaar (Sae Tamura und Simon Jones) begeistert durch große Präzision.
Der Einstand des neuen Ballettintendanten darf als durchaus gelungen bezeichnet werden. Mit dem Choreografen Edward Clug, der in Dortmund schon für seine Choreografien unter Xin Peng Wang gefeiert worden ist, und Carl Orffs monumentalem Werk ist Jaš Otrin das versprochene ‚Feuerwerk aus Musik und Tanz‘ geglückt.“